Verleger und MANGA DAY-Koordinator Joachim Kaps im Gespräch über die Erfolgsgeschichte des Manga in Deutschland, über Cosplay und die fast 800.000 Taschenbücher, die beim MANGA DAY 2023 verschenkt werden
Lieber Herr Kaps, vielen Dank, dass Sie sich für unser Gespräch anlässlich des 2. MANGA DAY die Zeit nehmen. Hätten Sie Lust, uns eingangs ein wenig über Ihren eigenen Verlagswerdegang zu erzählen? Wie lange und in welchen Verlagen und Positionen arbeiten Sie schon im Manga-Segment?
Ich bin inzwischen schon ein paar Jährchen in Sachen Manga in den deutschsprachigen Märkten unterwegs. Angefangen habe ich vor vielen Jahren mal bei Carlsen als Redakteur, wo ich der Redakteur von DRAGON BALL sein durfte. Dort war ich bis 2003 zunächst als Redakteur, später als Verlagsleiter Comic & Manga aktiv. Nachdem sich die Wege von Carlsen und mir getrennt hatten, bat mich die amerikanische TOKYOPOPGruppe ihre deutsche Niederlassung aufzubauen. Das hat mich von 2004 bis 2016 beschäftigt, am Ende war TOKYOPOP mit Carlsen im Umsatz gleichgezogen. Im Herbst 2017 habe ich dann altraverse geründet. Wir sind zur Buchmesse 2018 mit fünf Büchern gestartet und mittlerweile zum drittgrößten Label im deutschsprachigen Markt herangewachsen.
Bevor wir uns ins Thema vertiefen, könnten Sie für denjenigen von meinen Leser*innen, die das Thema Manga zum ersten Mal für sich entdecken, ein bisschen über die Geschichte und die Besonderheiten des Mediums erzählen? Was genau ist ein Manga und was zeichnet diese Art von Comics aus?
Manga unterscheiden sich von den Comics aus den USA und Europa eigentlich vor allem durch ihre größere thematische Vielfalt, ihr dynamisches Erzählen, ihre sehr stark an Leserbedürfnissen ausgerichtete Themenentwicklung und ihre sehr schnelle Produktion, die man vielleicht am Besten als industrialisierte Autorenschaft beschreiben könnte. Japan hat seit Jahrzehnten so den mit Abstand größten Comicmarkt der Welt hervorgebracht. Seit rund 30 Jahren bemüht man sich um eine internationale Vermarktung und ist dank des Internets seit etwas mehr als 25 Jahren immer erfolgreicher damit. Manga dominieren heute weltweit praktisch alle Comicmärkte.
Was macht für Sie die Faszination von Manga aus? Warum ist der Manga Ihrer Meinung nach in Deutschland so populär geworden?
Als Manga bei uns groß wurden, haben sie eine Lücke gefüllt, die von den amerikanischen und europäischen Comicverlagen vergessen worden war: Junge Leser und Leserinnen. Während die US-Verlage seinerzeit immer speziellere Interessen alternder Superhelden-Fanboys bedienten, hatten die Europäer beschlossen, Comics zur Kunst zu machen. Beides waren natürlich für sich betrachtet nicht nur legitime, sondern auch nachvollziehbare Ziele. Nur hatte man dabei den Lesenachwuchs vergessen. Und auf genau den hatten sich die japanischen Verlage immer mehr spezialisiert, ihre Inhalte und ihre Erzählweisen den sich zu höherem Tempo und stärkerer Ausdifferenzierung wandelnden anderen visuellen Medien angepasst. Man vergisst es heute, aber damals haben MTV, Computergames und das Web unsere gesamte Bildrezeption verändert. Und Manga waren das Comic-Pendant zu dieser Entwicklung. Sie waren wilder als die anderen Comics, so wie früher mal die Beatles und Rolling Stones für die Musik.
Ein anderer Aspekt der Branche ist das Phänomen „Cosplay“. Die bunt verkleideten Cosplayer*innen, die oft selbst in Handarbeit ihre Kostüme herstellen und sich auf Messen und Cons treffen und austauschen. Könnten Sie uns ein bisschen über diese Szene erzählen? Und wie wichtig ist die Cosplay-Welt für die Manga-Verlage?
Für die Verlage ist Cosplay vor allem etwas, dass wir mit Freude beobachten, weil sich in den wunderbaren Kostümen und auch in den einstudierten Szene bei Cosplay auf der Bühne die Begeisterung der Fans für Manga und Anime ausdrückt.
So werden die Helden der Manga-Welten für eine Convention lebendig, was einen sehr großen visuellen Reiz für alle anderen Besucher der Messen und Conventions bietet. Wir versuchen diese Community aber nicht zu beeinflussen, das ist eine ganz eigenständige Form des Fan-Seins, die am Besten gedeiht, wenn wir als Verlage nicht versuchen, das zu instrumentalisieren.
Manga, Webtoons und Manhwa...
Es ist nicht alles Manga, was asiatisch anmutet, Stichwort: Webtoons und Manhwa. Worin unterscheiden sich Comics aus Korea und China von ihren japanischen Vettern. Und wie viel Potential steckt in diesem Markt? Kann man da eine ähnliche Welle wie bei den Manga erwarten?
Das ist ein sehr spannendes Themenfeld. Die klassichen Manhwa waren ein Versuch der koreanischen Verlage eine Art lokale Ausgabe der japanischen Manga zu etablieren, was in Korea funktionierte, aber im Hinblick auf die internationale Vermarktung mehr oder minder ein Flop war. Dann hat man sehr genau analysiert, wie man etwas schaffen könnte, was nicht nur eine Kopie der Manga war, sondern etwas neues bot. Und da hat man Farbe und Digitalisierung als Möglichkeiten erkannt. Das hat – nicht zuletzt auch dank massiver Förderprogramme aus der Politik – nach und nach Erfolg gezeitigt. Und dank der Lese-Apps, die fast alle Stoffe zumindest auch in englischer Sprache anbieten, über Schulhöfe und Unis immer mehr Verbreitung gefunden. Und während Corona hat die Langeweile der Jugendlichen diesen Markt geradezu explodieren lassen. In Korea, aber auch in den USA und Europa. Mit SOLO LEVELING gibt es einen ersten Megahit, der so etwas wie das DRAGON BALL des Manhwa-Marktes geworden ist. Wir haben von Band 1 schon jetzt rund 100.000 Exemplare verkauft – und ein zusätzlicher Boost durch eine Anime-Serie steht hier noch aus. Ich bin sicher, dass Webtoons einen ähnlichen Siegeszug wie Manga erleben werden.
Was hat es mit dem MANGA DAY auf sich und wie es zu dieser Aktion gekommen?
Wie oben schon beschrieben, bin ich schon länger der Meinung, dass Manga bei uns stärker vermarktet werden müssen. Vor vier oder fünf Jahren haben sich die Manga-Verlage daher einmal getroffen, um zu schauen ob es hier nicht auch Dinge geben könnte, die man gemeinsam tun kann. So entstand unter anderem auch die Idee des MANGA DAY. Es gab ja schon den GRATIS COMIC TAG als Vorbild, dessen Hefte mit 32 oder 48 Seiten aber für Manga nicht richtig gepasst haben, weil Manga Raum brauchen, um zu erzählen. Wir haben dann Aufgaben verteilt und uns in die Planung begeben. Es gibt eine Unit, die sich um den Vetrieb kümmert, andere machen sich Gedanken zu Marketing, Organisation und Logistik. Über die Titel, die man einspielt, entscheidet dann jeder Verlag für sich. Autoren, Verlagsmitarbeiter, aber auch unsere Partner in Druck und Logistik haben sich bereit erklärt, alles quasi zum Selbstkonstenpreis umzusetzen. Die teilnehmenden Verlage zahlen pro Titel eine Gebühr für Marketing, Versand, etc., die teilnehmenden Händler kaufen ihre Pakete zum Selbstkostenpreis ein. Niemand gewinnt da etwas, außer den Lesern, denen wir mit dieser Aktion zeigen können, wie vielfältig das Angebot ist und was es noch alles zu entdecken gibt.
2022 hat der MANGA DAY zum ersten Mal stattgefunden? Wollen Sie an dieser Stelle mal ein Resümee ziehen?
Wir waren offen gestanden schon im ersten Jahr davon begeistert, wie gut die Idee angenommen wurde. An über 400 Orten wurden im ersten Jahr knapp 400.000 Taschenbücher verschenkt. An vielen teilnehmenden Stellen waren die Manga schon gegen Mittag komplett abgeräumt. Und sehr viele Buchhandlungen haben sich mit einem zusätzlichen Programm sehr engagiert, es gab Signieraktionen, Zeichen- und Cosplaywettbewerbe und viele andere Formen, um der Freude an Manga Ausdruck zu verleihen. Und für die Leser*innen entstand ein Event, bei dem endlich einmal ihre Lieblingsbücher im deutschen Buchmarkt im Mittelpunkt standen. Und das haben sie mit Freunden und der Familie geteilt.
Und wie sieht es 2023 aus? Wie viele Buchhandlungen haben sich dieses Jahr angemeldet? Wie groß ist das Interesse an der Aktion?
Wir waren ja schon 2022 völlig überwältigt von dem Zuspruch, aber 2023 übertrumpft abermals all unsere Erwartungen. Die Zahl der teilnehmenden Buchhandlungen, Comicshops und Bibliotheken ist auf deutlich über 700 angewachsen und wir werden in diesem Jahr fast 800.000 Taschenbücher verschenken. Die Manga- Party 2023 wird also noch einmal deutlich größer ausfallen.
Was sind Ihre Favoriten beim diesjährigen MANGA DAY?
Ich bin Verleger geworden, weil ich Bücher für andere und nicht für mich selbst machen möchte. Jeder hat seine eigene Biografie und seine eigenen Interessen, und basierend auf diesen Interessen sollte sich jede und jeder das aus dem Angebot herausfischen, das zu ihr oder ihm passt. Da braucht es keine Verlagsleute, die individuelle Tipps geben. Das ist ja gerade das Tolle am MANGA DAY, dass er die Vielfalt dessen aufzeigt, was Manga alles ist. Infos zu dem Titel gibt es auf mangaday.de, da kann man schauen, was einen individuell anspricht. Es lebe die Vielfalt! 😊